Nebel, Sturm und goldener Herbst

BergWeitWandern über die Karstplateaus der Hochsteiermark
Tour-Nr. S 2024-16 vom 16. – 23.10.2024
Leitung: Jens Fröhlich

Eine Bergwanderwoche mitten im Oktober, noch  dazu in einem Gebiet, das abseits des Mainstreams  liegt – das hat mich und drei weitere  Bergwanderfreunde gereizt. Und so machen sich  mit Jens auf den Weg: Heribert, Jupp, Richard und  Peter. Das angekündigte BergWeitWandern soll  uns über den Hochschwab, die Aflenzer Staritzen,  die Veitschalpe, die Schneealpe bis zur Raxalpe  führen, dort wo der Alpenbogen im Osten langsam  ausläuft. Anfahrt und Heimreise, wie bei Jens üblich, immer mit Öffis, auch diesmal wieder  super organisiert. Die Bahn hat mitgespielt:  Hin- und Rückreise verliefen angenehm und entspannt,  und das trotz vieler Umstiege.

 

So erreichen wir am Mittwoch, 16.10. mit dem  Postbus am Nachmittag Tragöß am Grünen See  (755 m), im Herzen der Steiermark. Tagesziel ist  die Sonnschienhütte (1523 m) am Rande des  Hochschwabmassivs, wo wir nach ordentlichen  11 km und über 800 m Aufstieg im Schein unserer  Stirnlampen gut ankommen. Es ist bereits 19.30  Uhr, aber wir werden noch gut versorgt, und am  Ofenfeuer in der Gaststube können wir die nebelklammen  Jacken gut trocknen. Leider macht die  Hütte ihrem Namen keine Ehre. Denn am Donnerstag  geht es bei Nebel und starkem Wind  weiter. Die Sicht reicht zum Glück meist bis  zur nächsten Wegmarkierung. Auch auf dem  Hochschwabgipfel (2277 m) herrscht einheitliches  Grau. Und so freuen wir uns umso mehr auf  die gastliche Voisthalerhütte (1654 m), die wir  nach 15 km Wegstrecke am Nachmittag erreichen.  Übrigens: Ein gut gelungener Hüttenneubau.  Auch am Freitag herrscht weiter das Einheitsgrau  vor. Geplant ist die Überschreitung der Aflenzer  Staritzen, ein Höhenzug um die 2000 m  östlich der Hochschwabgruppe. Wie schon gewohnt  machen wir uns bei Nebel und Wind  auf den Weg. Oben auf dem immer schmaler  werdenden Bergrücken verstärkt sich der Wind  schnell und überraschend zu einem heftigen  Sturm. Leicht bringt er uns aus dem Gleichgewicht  und während Jens wie immer vorausgeht  und nach einigen Metern bereits im Nebel verschwunden  ist, bleiben wir gekauert an Ort und  Stelle und schauen, dass es uns nicht vom Berg  weht. Wie erwartet taucht Jens nach kurzer Zeit  wieder auf. Mit sklerotischen Bewegungen wie  ein Crack-Junkie auf Entzug kämpft er sich gegen  den Sturm zurück und bläst zum Rückzug. Ganz  langsam und nur mühsam aufrecht gehend kommen  wir aus der Sturmzone heraus und atmen  erstmal durch. Unglaublich, das haben wir alle  noch nicht erlebt – und das bei gesammelt über  200 Jahren Erfahrung in den Bergen. Aber außer  dem Verlust einer Mütze und eines Befestigungsgurtes  am Rucksack ist nichts passiert. Beeindruckt  von der Sturmgewalt sind wir allerdings  schon.  Nach einer kurzen Mittagsrast auf der Voisthalerhütte  wandern wir durch das Seetal in das beschauliche  Bergdorf Seewiesen (974 m). Dort  werden wir von der Wirtin sehr gastlich empfangen.  Jeder bekommt einen Begrüßungsschnaps  und ein Einzelzimmer und beim Abendessen  erfahren wir einiges über die Lebensgeschichte  der Wirtin und die goldenen Zeiten, die mal in  diesem ehemaligen Haubenrestaurant herrschten.  Und wieder waren es 15 km und knapp 1300  Hm Abstieg.  Das Wetter am Samstag? Erraten, weiter feuchtes  Nebelgrau. Vor uns liegt die Veitschalpe, eine  knapp 2000 m hohe Gebirgsgruppe mit weiten  Hochflächen. Da wir im Graf-Meran-Haus unter  der Hohen Veitsch nicht übernachten können,  müssen wir einen weiten Bogen nach Norden  schlagen, um ein Quartier zu finden. So wandern  wir heute eher mittelgebirgsmäßig in stetem Auf  und Ab über weite Almflächen und durch wunderbare  Bergwälder. Zur Mittagsrast kehren wir in  der Turnauer Alm (1385m) ein. In der Gaststube  wärmen wir uns am gut eingeschürten Ofen auf.  Gerne hören wir den Wirtinnen zu, die davon  schwärmen, welche wunderbaren Schneeschuhtouren  von diesem auch im Winter geöffneten  Gasthof aus möglich sind. Die eigentliche  Veitschalpe streifen wir heute nur am Rande  und erreichen nach ca. 22 km und fast 1000 Hm  Aufstieg unser Tagesziel, den Gasthof  Ploderer am Niederalplsattel (1221 m).  Er ist eingerichtet wie ein Westernsaloon und  hat schon bessere Zeiten gesehen. Hier erfahren  wir beim Essen und einem steirischen Kräuterschnaps  „auf das Haus“, dass der verstorbene  Wirt ein großer Country- und Westernfan war  und hier einst große Festivals veranstaltete.  Sonntags steigen wir dann hoch zur weiten  Hochfläche der Veitschalpe und endlich kommt  die Sonne durch. Welch eine Wohltat, auch wenn  noch ein schneidiger Wind über die Hochfläche  weht. Zum ersten Mal spüren wir die „große  Weite“ der steirischen Karstplateaus. Lange sind  wir dort oben, um 1800 m bis 1900 m unterwegs.  Dann wieder ein ständiges Auf und Ab. Bergpfade,  schmale Waldpfade wechseln sich ab und den ein  oder anderen Abschnitt auf Forststraßen müssen  wir auch gehen. Das Unwetter im September,  das vielerorts zu großen Überschwemmungen  führte, hat auch im Bergwald seine Spuren hinterlassen:  Häufig müssen wir kreuz und quer  liegende Bäume irgendwie überwinden. Schon  am fortgeschrittenen Nachmittag erreichen  wir das Veitschbachtörl (1406 m) und steigen  steil hinunter nach Neuberg a. d. Mürz (730 m).  Dort übernachten wir im edlen und gediegenem  Gasthof Schäffer, mal ganz ohne Steirer Tristesse.  Mit einem echt feinen Abendessen beschließen  wir den Tag. Das haben wir auch verdient.Denn so langsam verspüren wir, was Jens  mit „BergWeitWandern“ meinte: Heute  waren es über 23 km bei fast 1000 Hm  Aufstieg und knapp 1500 Hm Abstieg.  Die nächsten beiden Tage sollen sowohl vom  Wetter als auch von der Landschaft her den Höhepunkt  unserer achttägigen Tour bilden, auch  wenn uns die letzten beiden Wandertage noch  in den Knochen steckten. Am Montag steht  mit der Schneealpe das nächste Hochplateau  auf dem Programm. Dafür geht es erstmal zackige  1280 Hm nach oben auf den Windberg  (1903 m) und schließlich zu unserem Tagesziel,  dem Schneealpenhaus (1784 m). Es liegt sehr  beeindruckend auf einer Erhebung am Rande  der kraterähnlich eingesenkten Hochfläche der  Schneealpe. Endlich können wir nach der Tour  noch eine Zeitlang draußen in der Sonne sitzen  und die warmen Strahlen, den Ausblick und natürlich  ein Steirer Bier genießen.  Kalt und sonnig beginnt der Dienstag. Unter  uns ein Wolkenmeer, darüber strahlender Sonnenschein.  Aus den Wolken spitzt Richtung Osten  das letzte Hochplateau unserer Wanderung  hervor, die knapp über 2000 m hohe Raxalpe.  Dazwischen geht’s natürlich erstmal ordentlich  runter bevor wir uns dem Aufstieg zur Rax nähern.  Kurz vor dem Einstieg zum versicherten  Gamsecksteig dann das größte Hindernis unserer  Tour: Durch Windbruch ist ein großflächiger  Verhau aus entwurzelten und abgebrochenen  Bäumen entstanden. Wir sind knapp vor der Umkehr,  als Jens ein paar schwache Spuren erspäht  und erkennt, dass jemand diesen Verhau schon  mal überwunden hat. Das gelingt uns auch, aber  einfach war es nicht. Dafür können wir dann auf  dem Steig in leichter Kraxelei in der Sonne hochsteigen  und schließlich auf der 2007 m hohen  Heukuppe einen ganz besonderen Ausblick  genießen. Richtung Osten läuft hier der Alpenbogen  scheinbar sanft hügelig aus. Ein bewegender  Moment. Mit diesen Bildern vor unseren  Augen machen wir uns auf den Schlussabstieg  zum Waxrieglhaus (1361 m). Auch heute ist uns  wieder ein „Schlussbier“ in der Sonne vergönnt.  Bei Nebel und leichtem Regen wandern wir am  Mittwochmorgen, acht Tage nach dem Start am  Grünen See, gemütlich nach Prein an der Rax. In  einer warmen Gaststube resümieren wir vor der  Heimreise unsere Tour. Jens hat uns durch unbekannte  und interessante Gebirgszüge geführt.  Dabei sind die Landschaften nicht spektakulär  aber dennoch einzigartig und beeindruckend.  Wir sind ordentlich berg- und weitgewandert: insgesamt  fast 120 km und jeweils rund 6500 Hm im  Auf- und im Abstieg. Und: fünf Jungs, acht Tage  unterwegs, ständig zusammen und wir sind uns  nicht auf den Wecker gegangen. Mit einem guten  Gefühl treten wir von Wien aus die Heimreise an.  

Bericht & Fotos: Dr. Peter Sickenberger