So erreichen wir am Mittwoch, 16.10. mit dem Postbus am Nachmittag Tragöß am Grünen See (755 m), im Herzen der Steiermark. Tagesziel ist die Sonnschienhütte (1523 m) am Rande des Hochschwabmassivs, wo wir nach ordentlichen 11 km und über 800 m Aufstieg im Schein unserer Stirnlampen gut ankommen. Es ist bereits 19.30 Uhr, aber wir werden noch gut versorgt, und am Ofenfeuer in der Gaststube können wir die nebelklammen Jacken gut trocknen. Leider macht die Hütte ihrem Namen keine Ehre. Denn am Donnerstag geht es bei Nebel und starkem Wind weiter. Die Sicht reicht zum Glück meist bis zur nächsten Wegmarkierung. Auch auf dem Hochschwabgipfel (2277 m) herrscht einheitliches Grau. Und so freuen wir uns umso mehr auf die gastliche Voisthalerhütte (1654 m), die wir nach 15 km Wegstrecke am Nachmittag erreichen. Übrigens: Ein gut gelungener Hüttenneubau. Auch am Freitag herrscht weiter das Einheitsgrau vor. Geplant ist die Überschreitung der Aflenzer Staritzen, ein Höhenzug um die 2000 m östlich der Hochschwabgruppe. Wie schon gewohnt machen wir uns bei Nebel und Wind auf den Weg. Oben auf dem immer schmaler werdenden Bergrücken verstärkt sich der Wind schnell und überraschend zu einem heftigen Sturm. Leicht bringt er uns aus dem Gleichgewicht und während Jens wie immer vorausgeht und nach einigen Metern bereits im Nebel verschwunden ist, bleiben wir gekauert an Ort und Stelle und schauen, dass es uns nicht vom Berg weht. Wie erwartet taucht Jens nach kurzer Zeit wieder auf. Mit sklerotischen Bewegungen wie ein Crack-Junkie auf Entzug kämpft er sich gegen den Sturm zurück und bläst zum Rückzug. Ganz langsam und nur mühsam aufrecht gehend kommen wir aus der Sturmzone heraus und atmen erstmal durch. Unglaublich, das haben wir alle noch nicht erlebt – und das bei gesammelt über 200 Jahren Erfahrung in den Bergen. Aber außer dem Verlust einer Mütze und eines Befestigungsgurtes am Rucksack ist nichts passiert. Beeindruckt von der Sturmgewalt sind wir allerdings schon. Nach einer kurzen Mittagsrast auf der Voisthalerhütte wandern wir durch das Seetal in das beschauliche Bergdorf Seewiesen (974 m). Dort werden wir von der Wirtin sehr gastlich empfangen. Jeder bekommt einen Begrüßungsschnaps und ein Einzelzimmer und beim Abendessen erfahren wir einiges über die Lebensgeschichte der Wirtin und die goldenen Zeiten, die mal in diesem ehemaligen Haubenrestaurant herrschten. Und wieder waren es 15 km und knapp 1300 Hm Abstieg. Das Wetter am Samstag? Erraten, weiter feuchtes Nebelgrau. Vor uns liegt die Veitschalpe, eine knapp 2000 m hohe Gebirgsgruppe mit weiten Hochflächen. Da wir im Graf-Meran-Haus unter der Hohen Veitsch nicht übernachten können, müssen wir einen weiten Bogen nach Norden schlagen, um ein Quartier zu finden. So wandern wir heute eher mittelgebirgsmäßig in stetem Auf und Ab über weite Almflächen und durch wunderbare Bergwälder. Zur Mittagsrast kehren wir in der Turnauer Alm (1385m) ein. In der Gaststube wärmen wir uns am gut eingeschürten Ofen auf. Gerne hören wir den Wirtinnen zu, die davon schwärmen, welche wunderbaren Schneeschuhtouren von diesem auch im Winter geöffneten Gasthof aus möglich sind. Die eigentliche Veitschalpe streifen wir heute nur am Rande und erreichen nach ca. 22 km und fast 1000 Hm Aufstieg unser Tagesziel, den Gasthof Ploderer am Niederalplsattel (1221 m). Er ist eingerichtet wie ein Westernsaloon und hat schon bessere Zeiten gesehen. Hier erfahren wir beim Essen und einem steirischen Kräuterschnaps „auf das Haus“, dass der verstorbene Wirt ein großer Country- und Westernfan war und hier einst große Festivals veranstaltete. Sonntags steigen wir dann hoch zur weiten Hochfläche der Veitschalpe und endlich kommt die Sonne durch. Welch eine Wohltat, auch wenn noch ein schneidiger Wind über die Hochfläche weht. Zum ersten Mal spüren wir die „große Weite“ der steirischen Karstplateaus. Lange sind wir dort oben, um 1800 m bis 1900 m unterwegs. Dann wieder ein ständiges Auf und Ab. Bergpfade, schmale Waldpfade wechseln sich ab und den ein oder anderen Abschnitt auf Forststraßen müssen wir auch gehen. Das Unwetter im September, das vielerorts zu großen Überschwemmungen führte, hat auch im Bergwald seine Spuren hinterlassen: Häufig müssen wir kreuz und quer liegende Bäume irgendwie überwinden. Schon am fortgeschrittenen Nachmittag erreichen wir das Veitschbachtörl (1406 m) und steigen steil hinunter nach Neuberg a. d. Mürz (730 m). Dort übernachten wir im edlen und gediegenem Gasthof Schäffer, mal ganz ohne Steirer Tristesse. Mit einem echt feinen Abendessen beschließen wir den Tag. Das haben wir auch verdient.Denn so langsam verspüren wir, was Jens mit „BergWeitWandern“ meinte: Heute waren es über 23 km bei fast 1000 Hm Aufstieg und knapp 1500 Hm Abstieg. Die nächsten beiden Tage sollen sowohl vom Wetter als auch von der Landschaft her den Höhepunkt unserer achttägigen Tour bilden, auch wenn uns die letzten beiden Wandertage noch in den Knochen steckten. Am Montag steht mit der Schneealpe das nächste Hochplateau auf dem Programm. Dafür geht es erstmal zackige 1280 Hm nach oben auf den Windberg (1903 m) und schließlich zu unserem Tagesziel, dem Schneealpenhaus (1784 m). Es liegt sehr beeindruckend auf einer Erhebung am Rande der kraterähnlich eingesenkten Hochfläche der Schneealpe. Endlich können wir nach der Tour noch eine Zeitlang draußen in der Sonne sitzen und die warmen Strahlen, den Ausblick und natürlich ein Steirer Bier genießen. Kalt und sonnig beginnt der Dienstag. Unter uns ein Wolkenmeer, darüber strahlender Sonnenschein. Aus den Wolken spitzt Richtung Osten das letzte Hochplateau unserer Wanderung hervor, die knapp über 2000 m hohe Raxalpe. Dazwischen geht’s natürlich erstmal ordentlich runter bevor wir uns dem Aufstieg zur Rax nähern. Kurz vor dem Einstieg zum versicherten Gamsecksteig dann das größte Hindernis unserer Tour: Durch Windbruch ist ein großflächiger Verhau aus entwurzelten und abgebrochenen Bäumen entstanden. Wir sind knapp vor der Umkehr, als Jens ein paar schwache Spuren erspäht und erkennt, dass jemand diesen Verhau schon mal überwunden hat. Das gelingt uns auch, aber einfach war es nicht. Dafür können wir dann auf dem Steig in leichter Kraxelei in der Sonne hochsteigen und schließlich auf der 2007 m hohen Heukuppe einen ganz besonderen Ausblick genießen. Richtung Osten läuft hier der Alpenbogen scheinbar sanft hügelig aus. Ein bewegender Moment. Mit diesen Bildern vor unseren Augen machen wir uns auf den Schlussabstieg zum Waxrieglhaus (1361 m). Auch heute ist uns wieder ein „Schlussbier“ in der Sonne vergönnt. Bei Nebel und leichtem Regen wandern wir am Mittwochmorgen, acht Tage nach dem Start am Grünen See, gemütlich nach Prein an der Rax. In einer warmen Gaststube resümieren wir vor der Heimreise unsere Tour. Jens hat uns durch unbekannte und interessante Gebirgszüge geführt. Dabei sind die Landschaften nicht spektakulär aber dennoch einzigartig und beeindruckend. Wir sind ordentlich berg- und weitgewandert: insgesamt fast 120 km und jeweils rund 6500 Hm im Auf- und im Abstieg. Und: fünf Jungs, acht Tage unterwegs, ständig zusammen und wir sind uns nicht auf den Wecker gegangen. Mit einem guten Gefühl treten wir von Wien aus die Heimreise an.
Bericht & Fotos: Dr. Peter Sickenberger